Die AfD erwärmt sich für die Atomkraft

Von admin|21. August 2019|In der Presse|0 Kommentare

Ein unaufgeregter Artikel zu einem aufregenden Thema.

Die AfD erwärmt sich für die Atomkraft

21.8.2019 – Die Welt

Sollte Deutschland neue Atomreaktoren bauen? In der AfD wird der Wiedereinstieg in die Kernenergie diskutiert. Im Umkehrschluss bedeutet das: Plötzlich erwärmt sich die Partei für ein Thema, von dem sie bislang nichts wissen wollte.
Nicht alle in der AfD verdammen Greta Thunberg so bösartig wie Andreas Kalbitz. Der Brandenburger AfD-Spitzenkandidat schmähte (//welt.de/198870445) die
Klimaschutzaktivistin am Montag als „zopfgesichtiges Mondgesicht-Mädchen“.
Ganz anders seine Parteifreundin Karin Wilke: Die sächsische Landtagsabgeordnete holte sich jüngst Argumentationshilfe bei der Schwedin. Wilke liebäugelt mit einem Wiedereinstieg in die Kernkraft. Und weil Thunberg (//welt.de/198721213) mal zumindest andeutungsweise über die weitgehende Klimaneutralität von Atomkraftwerken gesprochen hatte, bezog sich Wilke zustimmend auf sie: „Da selbst Greta Thunberg sich für solche Überlegungen eingesetzt hat, dürften auch die einschlägigen ‚Atomkraft? Nein danke!‘- Bedenkenträger für diesen Ansatz zu gewinnen sein.“
Zur Kronzeugin der AfD wird Thunberg damit nicht. Aber erkennbar ist, dass in der Partei etwas in Bewegung gekommen ist: Die AfD erwärmt sich mehr und mehr für die Atomkraft – und beginnt in diesem Zusammenhang den Klimaschutz zu berücksichtigen.
Dabei wollte die AfD bisher vom menschengemachten Klimawandel so gut wie nichts wissen. „Wir bezweifeln, dass der Mensch den jüngsten Klimawandel maßgeblich beeinflusst hat“, hieß es noch im Europawahlprogramm, wo Klimaschutzpolitik als „Irrweg“ bezeichnet wurde. Und was Atomstrom betrifft, so konnte man sich in der AfD lange Zeit nur darauf einigen, die Restlaufzeiten für deutsche Reaktoren zu verlängern und sich nicht aus der Kernenergieforschung zu verabschieden.
Aber jetzt wird laut über den Neubau von Atomkraftwerken nachgedacht. So brachte der sächsische AfD-Landeschef Jörg Urban die Braunkohleregion in der Lausitz als Standort für ein modernes Kernkraftwerk nach dem Ende des Tagebaus ins Spiel. Als Karin Wilke dem beipflichtete, verwies sie auf den Klimaschutz – „weil nur die Atomkraft eine stabile, CO2- freie Energiequelle ist“.
Am Klimaschutz wird die AfD bei der Atomfrage schon aus debattenstrategischen Gründen kaum vorbeikommen. Denn Kernenergie steht in Deutschland extrem unter Verdacht. Wilke betont denn auch, dass ihr Ansatz „natürlich nur mit Zustimmung der Bevölkerung umgesetzt werden“ könne. Aber wie wollte die Partei, wenn sie sich offiziell zur Forderung nach dem Wiedereinstieg in die Atomtechnologie aufraffte, jene „Zustimmung der Bevölkerung“ gewinnen, wenn sie die Notwendigkeit des Klimaschutzes abstreitet?
AfD-Fraktion stellt „Hysterie“ fest
Den Stand der innerparteilichen Debatte umreißt der AfD-Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré. Der energiepolitische Fraktionssprecher macht im Gespräch mit WELT deutlich, dass noch nichts entschieden sei, die AfD aber wohlwollend an die Atomenergie herangehe: „Über die Frage einer möglichen Kernkraftnutzung diskutieren wir in der AfD sehr intensiv“, sagt Kotré. Die Debatte finde „ohne jene linksgrüne Hysterie“ statt, die „sich leider in fast allen Bereichen der Energie- und auch Verkehrspolitik breitgemacht“ habe.
Indes ist „Hysterie“ bei Kotré ein vielfältig anwendbarer Begriff. Ihn richtet er zunächst gegen die Ablehnung der Kernkraft. Hierbei habe die „Hysterie unter anderem dazu geführt, dass kaum jemand in Deutschland weiß, dass es beim Reaktorunglück in Fukushima (/politik/ausland/article191930329/Fukushima-Tepco-startet-Bergung-von- Brennstaeben-aus-Ungluecks-Reaktor.html) nur einen einzigen Strahlentoten gab“. Tatsächlich wurde jedenfalls von japanischer Seite nur eine Person genannt, die an den Folgen der beim Reaktorunglück 2011 ausgetretenen Strahlung gestorben ist.
Aber Kotré wendet den „Hysterie“-Vorwurf auch gegen Sorgen um Luftqualität und Klima. Er spricht von der „Verteufelung des Dieselantriebs“ und sagt, dass die AfD „nicht die gegenwärtig grassierende Klimahysterie“ teile. Dann jedoch nennt er als Vorteil der Kernkraftwerke, „dass von ihnen so gut wie keine CO2-Emissionen ausgehen“.
So hat die Partei schon wegen der Gewichtung des Klimaschutzes noch Diskussionsbedarf. Aber auch wegen der Gefahren der Atomkraft. Fukushima dürfe „nicht verharmlost werden“,
sagt Kotré. Entsprechend sei in der AfD das letzte Wort beim Thema Kernkraft noch nicht gesprochen. „Aber neue und sehr sichere Kernkrafttechnologien wie etwa die Pläne und Patente für Reaktoren der vierten Generation nach dem Dual-Fluid-Prinzip schauen wir uns sehr interessiert und unvoreingenommen an.“
Bei jenen Kraftwerken soll durch Röhren im Reaktor flüssiges Salz zirkulieren, in dem das Spaltmaterial enthalten ist. Zu diesem können abgebrannte Brennelementen gehören. Könnten also solche Reaktoren gebaut werden, käme zu ihrer offenbar extrem großen Sicherheit der Vorteil hinzu, dass darin Atommüll verarbeitet und damit das Endlagerproblem minimiert würde. Kotré ist angetan davon, dass im Zusammenhang mit jener Technologie „aus atomaren Reststoffen wieder Rohstoffe werden“ könnten, „sodass man auch die langen Endlagerzeiten nicht mehr hätte“.
Mit der Offenheit für solche Pläne hat die AfD ein Alleinstellungsmerkmal. Erst recht mit der Bereitschaft, über die Neuerrichtung von schon baufertigen Reaktoren zu reden: „Zumindest diskutieren wollen wir auch“, so Kotré, „ob es sinnvoll sein könnte, in Deutschland neue und hochmoderne Reaktoren zu bauen, die in anderen Ländern bereits im Betrieb und sehr sicher sind.“ Wer den Bürgern das aber schmackhaft machen will, braucht starke Argumente.
Wäre der von der AfD befehdete Klimaschutz eines? Kotré: „Wenn man das ja auch nicht zu verleugnende Thema der CO2-Emissionen angehen will, darf man nicht die Kernkraft mit ihrer exzellenten CO2-Bilanz vernachlässigen.“
 
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